Frankreich: Haftung wegen plötzlichen Abbruchs einer Geschäftsbeziehung

Handels- und Gesellschaftsrecht / Droit des affaires

Das französische Recht kennt mit Art. L. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce (französisches Handelsgesetzbuch) eine für Deutsche ungewöhnliche Regelung. Nach dieser Vorschrift haftet auf Schadensersatz, wer eine bestehende Geschäftsbeziehung (relation commerciale établie) plötzlich abbricht (rompre brutalement), ohne schriftlich unter Einhaltung einer Frist zu kündigen, die der Dauer des Bestehens der Geschäftsbeziehung Rechnung trägt.

Überraschend an dieser Regelung ist aus deutscher Sicht, dass allein das Bestehen einer – eventuell auch nur gelegentlichen – Geschäftsbeziehung ohne Rahmenvertrag eine Pflicht zur Kündigung unter Einhaltung einer Frist begründet und dass die Kündigungsfrist bei Bestehen eines Rahmenvertrags von der im Rahmenvertrag geregelten Frist abweichen kann.

Für deutsche Unternehmen ist diese Regelung in der Vergangenheit nachteilig gewesen, sie könnte in Zukunft aber auch vorteilhaft sein.

Deutsche Exporteure, die Kunden in Frankreich beliefern, werden häufig, wenn sie die Belieferung beenden, von ihren französischen Kunden auf der Grundlage von Art. L. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce vor französischen Gerichten in Anspruch genommen. Das ging in der Vergangenheit problemlos selbst dann, wenn eine Gerichtsstandsklausel die Zuständigkeit deutscher Gerichte vorsah, weil der – von französischen Gerichten als deliktsrechtlich qualifizierte – Anspruch aus Art. L. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce regelmäßig nicht unter die Gerichtsstandsklausel fiel, die nur für Ansprüche aus Vertragsrecht gilt.

In seinem Urteil vom 14.07.2016 in der Rechtssache Granarolo SpA (C-196/15) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aber entschieden, dass ein Anspruch gemäß Art. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce je nach den Umständen des Einzelfalls als vertraglich zu qualifizieren sein kann, mit der Folge, dass die für vertragliche Ansprüche zuständigen Gerichte zuständig sind. Es kann deshalb künftig unter Umständen erfolgreich argumentiert werden, dass französische Gerichte aufgrund einer Gerichtsstandsklausel zugunsten deutscher Gerichte unzuständig sind. Sehr wichtig: die Unzuständigkeit französischer Gerichte muss gleich zu Beginn des Verfahrens geltend gemacht werden!

Für deutsche Importeure könnte das Urteil Granarolo einen Weg eröffnen, sich gegen einen französischen Lieferanten erfolgreich auf Art. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce zu berufen und Schadensersatz für den plötzlichen Abbruch einer langjährigen Geschäftsbeziehung zu verlangen. Eine Klage vor dem französischen Gericht am Sitz des Lieferanten wird im Normalfall zulässig sein.

Die Frage ist aber, ob das französische Gericht Art. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce anwenden würde. Dafür kommt es darauf an, ob es den Anspruch als deliktsrechtlich oder vertraglich qualifiziert. Hier liefert das Urteil Granarolo im Einzelfall nun gute Argumente dafür, dass der Anspruch vertraglich zu qualifizieren ist. Dann müsste das französische Gericht auch dem deutschen Importeur auf der Grundlage von Art. 442-6 Nr. 5 des Code de commerce Schadensersatz zusprechen, wenn auf den Vertrag französisches Recht anwendbar ist und die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind.

Sie sind deutscher Exporteur und werden vor einem französischen Gericht wegen plötzlichen Abbruchs einer langjährigen Geschäftsbeziehung auf Schadensersatz in Anspruch genommen? Oder Sie sind Importeur und erleiden erheblichen Schaden dadurch, dass Ihr französischer Lieferant sie unerwartet nicht mehr beliefert. Sprechen Sie uns an, wir beraten Sie gerne und vertreten Sie in einem eventuellen Verfahren vor einem französischen Gericht.

Achtung: Dieser Beitrag enthält nur allgemeine Hinweise und ersetzt keinesfalls eine Beratung im Einzelfall. Dieser Beitrag gibt die Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erstellung wieder, spätere Änderungen der Rechtslage sind nicht berücksichtigt. Sprechen Sie uns an!

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